
Liebe Monika, warum ist es wichtig, die Generationenbeziehungen in der Schweiz zu fördern?
Wie in anderen europäischen Staaten findet auch in der Schweiz ein ausgeprägter demografischer Wandel hin zu einer sogenannten alternden Gesellschaft statt.
Gute Generationenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen, erhält dadurch einen völlig neuen Stellenwert für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Ich würde aus diesen Gründen die intergenerationelle Beziehungspflege als eine Form von Präventionspolitik für kommende Krisensituationen und für Interessens- und Verteilungskonflikte begreifen.
Ein gutes Beispiel ist die Corona-Pandemie: Interessen und Bedürfnisse sowohl von jungen als auch von älteren Menschen wurden zeitweise hinten angestellt. Deshalb reicht es auch nicht, die familiären Generationenbeziehungen hier im Blick zu haben. Es gilt auch, die Teile der Gesellschaft mitzunehmen, die aus diversen Gründen keine oder kaum intergenerationelle Beziehungen entwickelt haben.
Du arbeitest seit einigen Jahren als Co-Programmleiterin für das Programm Intergeneration der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) Was ist das Ziel des Programms?
Intergeneration möchte die gesellschaftlichen Generationenbeziehungen in der Schweiz fördern. Dabei möchten wir der thematisch und regional vielfältigen Landschaft des generationenverbindenden Engagements eine intermediäre Vernetzungs- und Austauschplattform bieten.
Über 400 Generationenprojekte stellen sich auf der digitalen Plattform Intergeneration vor. Mit Blogbeiträgen informieren wir über aktuelle Themen rund um die Generationenbeziehungen. In thematischen Netzwerken können sich Projektinitiant*innen und Expert*innen austauschen, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen.
Des Weiteren möchten wir aber auch mit eigenen Initiativen Impulse setzen. Derzeit konzentrieren wir uns beispielsweise in einem Förderschwerpunkt auf die generationenverbindenden Betreuungseinrichtungen für Jung und Alt, die wir z. B. mit Fachtagungen, Weiterbildungsangeboten und Initiativen unterstützen.
Was ist durch deine Arbeit bereits in deinem Umfeld/in der Gesellschaft in Bewegung gekommen?
In unserem Förderschwerpunkt «Generationenverbindende Betreuungseinrichtungen» sehen wir vor allem die positive Resonanz auf unsere Angebote und eine Zunahme von Projekten und Aktivitäten trotz der schwierigen Rahmenbedingungen im Betreuungsbereich. Nicht zuletzt freut uns sehr, dass unsere Plattform in Belgien, Österreich und jetzt Deutschland inspirierend für eigene Plattformangebote wirkt.
Was können wir als Gesellschaften in naher Zukunft erreicht haben, um den demografischen Wandel positiv zu gestalten?
Um das Ziel von positiven gesellschaftlichen Generationenbeziehungen zu entwickeln, ist eine wichtige Voraussetzung, dass gegenseitiges (Erfahrung-)Wissen um die spezifischen Lebensumstände, Bedürfnisse und Interessen anderer Generationen ausgetauscht wird. Ziel wäre es, dass alle Menschen, die sich darauf einlassen möchten, in ihrem Umfeld passende Angebote finden können. Für die Menschen sind allein schon diese zusätzlichen Generationenbeziehungen außerhalb der Familie eine Bereicherung für ihre Sozialkontakte.
Welche drei Ratschläge kannst du lokalen Entscheidungsträger*innen in Verwaltungen und Organisationen mitgeben, die über Nachwuchsprobleme im Ehrenamt klagen?
Klar gezeigt hat sich, dass Ratschläge so individuell sind wie die Organisationen selbst und ihre gesellschaftlichen Ziele. Mit dem Projekt engagement-lokal der SGG wurden zehn Orte während drei Jahren in der Entwicklung von Strategien für die lokale Freiwilligenarbeit gefördert. In Kürze werden aus den gewonnenen Erkenntnissen der wissenschaftlichen Begleitung Leitfragen für die lokale Freiwilligenarbeit publiziert. Die Leitfragen können hier helfen, die richtigen Fragen zu stellen.
Was aber überall gilt: Zentral ist die Wertschätzung der Engagierten, das Sichtbarmachen der Freiwilligenarbeit sowie eine funktionierende Koordination und Abstimmung unter den verschiedenen Akteur*innen in der Zivilgesellschaft, der Verwaltung und der Politik wie auch der Wirtschaft.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde: Welches generationenverbindende Projekt würdest du gerne umsetzen?
In der Schweiz sind 19,4 % der Minderjährigen armutsgefährdet (in Deutschland ist der Anteil armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher noch höher). Für Kinder und Jugendliche sind die damit einhergehende soziale Ausgrenzung und die fehlenden Teilhabemöglichkeiten eine Erfahrung, die für das ganze Leben prägend sein kann. Dazu kommen noch geringere Bildungs- und Entwicklungschancen. Die Entwicklung von Generationenprojekten, die diese Zielgruppe ins Blickfeld nimmt und ihre Situation so früh und wirkungsvoll wie möglich verbessert, dafür würde ich persönlich am liebsten Geld einsetzen.