Interview mit Julian Lagemann

Beteiligung ist ein unverrückbares Recht von Kindern und Jugendlichen

Lieber Julian, du bist Grundsatzreferent bei der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendringe NRW. Welche Rolle spielen die Jugendringe in der Gesellschaft? Was sind die Ziele des Verbands?

Jugendringe sind Zusammenschlüsse von Jugendverbänden in einer Kommune. Oft wird dieser Kern ergänzt durch zum Beispiel Schüler*innenvertretungen, Engagierte aus der Offenen Kinder- und Jugendarbeit oder Aktive aus Jugendgremien. Durch den besonderen rechtlichen Status der Jugendringe können die Interessen junger Menschen gebündelt und zielgerichtet in die Kommune getragen sowie gegenüber Politik und Verwaltung vertreten werden.

Die Landesarbeitsgemeinschaft Jugendringe  greift hier den zumeist ehrenamtlichen Strukturen vor Ort unter die Arme. Dies geschieht im Wesentlichen durch Beratung, Vernetzung untereinander und Qualifizierung, aber auch durch Interessenvertretung auf Landes- und Bundesebene.

Was sind deine Aufgaben in deiner Position?

Ich bin als Grundsatzreferent für die Zuarbeit für unseren ehrenamtlichen Vorstand, die Geschäftsführung und Grundlagen für strategische Ausrichtung, aber auch unsere Qualifizierungsreihe „Crashkurs kommunale Jugendpolitik“ in unserer Geschäftsstelle in Düsseldorf zuständig. Vor Ort bin ich ebenfalls aktiv, wenn es Beratungsanlässe oder Neugründungen von Jugendringen gibt.

Wie verstehst du die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen?

Beteiligung ist ein unverrückbares Recht von Kindern und Jugendlichen und muss in jeder kommunalen Entscheidung mitgedacht werden. Es braucht dazu nicht nur „Hochglanzprodukte“ und Vorzeigeprojekte oder medientaugliche Pseudobeteiligungen, sondern eine ausfinanzierte Jugendarbeit. Freie Träger wie die Jugendverbände sichern die Unabhängigkeit vom Staat und verhindern eine staatlich gelenkte Jugend. Eine institutionell geförderte Jugendarbeit kann die Interessen junger Menschen durch Jugendverbände vertreten und ihre Anliegen in Politik übersetzen. Beteiligung sollte im kommunalen Kinder- und Jugendförderplan festgeschrieben und definiert sein, von Spielleitplanung über Jugendbudgets bis hin zu regelmäßigen Umfragen im Quartier. Jugendbeteiligung erfordert auch die Arbeit an der Haltung der Erwachsenen: Erwachsene müssen Machtübergabe wollen und zulassen können.

Wie haben sich das Engagement und die Erwartungen an die Beteiligung junger Menschen verändert?

Es scheint mir, als ob junge Menschen auch in Beteiligungssituationen vermehrt „etwas leisten“ sollen. Sei es, gewünschte Ergebnisse zu (re-) produzieren oder in kurzer Zeit mit zu wenigen Informationen zu einem professionellen Ergebnis zu kommen. Das trifft nicht den Geist von echter Beteiligung. Dort geht es um Machtabgabe und auch darum, zu akzeptieren, dass Ergebnisse anders ausfallen können, als antizipiert. Zudem kommt es vor, dass Beteiligung gleichgesetzt wird mit institutionalisierten Projekten mit festen Satzungen, die durch den Rat beschlossen werden und die die Erwachsenen-Welt kopieren. Ein Jugendgremium allein ist noch keine umfassende Beteiligung, sondern kann ein Teil eines bunten Partizipationsmixes sein. Dieser umfasst aber vor allem auch die Selbstorganisation junger Menschen in Verbänden. Die demokratisch legitimierten Vertreter*innen junger Menschen in den Verbänden können anwaltschaftlich für junge Menschen eintreten. Was kein Widerspruch zu direkten Beteiligungsformaten ist: Im Gegenteil: Wer in der Kommune sinnvolle Verknüpfungen und Synergien herstellt, gibt jungen Menschen und ihren Organisationen richtig Energie!

Welche Bedeutung hat der Dialog zwischen den Generationen für junge Menschen in der Gesellschaft?

Ohne einander geht es nicht. Da insbesondere bei jungen Menschen sich die Wahrnehmung verfestigt, dass die Älteren (z. B. bei Themen wie Klima, Altersversorgung usw.) auf Kosten der Jüngeren leben, ist es um so wichtiger, im kommunalen Kontext zusammenzukommen und miteinander für einen lebenswerten Ort zu streiten. Dabei dürfen Bedürfnisse nicht gegeneinander ausgespielt werden und sie müssen verständlich kommuniziert werden. Dafür braucht es Freiräume zum Aufeinandertreffen. Da junge Menschen systematisch aus dem öffentlichen Raum und dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden, sind hier generationengerechte Konzepte zu schaffen. Das wäre auch ein guter Anlass, um generationenübergreifende Beteiligung zu probieren.

Welche drei Ratschläge kannst du Entscheidungsträger*innen in Verwaltungen und Organisationen geben, die die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen fördern möchten?

  1. Macht euch ehrlich Klar, was ihr könnt und was nicht. Denkt an das Erwartungsmanagement. Beteiligung ist super und wichtig und rechtlich verpflichtend, aber kein Allheilmittel!
  2. Denkt einen bunten Partizipationsmix mit! Einzelne Maßnahmen losgelöst voneinander sind wenig effektiv und erreichen auch niemals alle – obwohl alle jungen Menschen das Recht auf Mitwirkung haben.
  3. Fördert Eure Jugendverbände/-ringe ordentlich! Denn selbstorganisierte Zusammenschlüsse können ein wertvoller Kristallisationspunkt für einen Partizipationsmix sein und wirken in die Breite.


Datum der Veröffentlichung: 12. August 2024